Ehrenamt: In Bayern gibt es so viele freiwillige Feuerwehrmänner und -frauen wie sonst nirgends in Deutschland. Warum eigentlich? Ein Streifzug durch unsere Region auf der Suche nach der Faszination
„Nein, ich schaff’ das schon“, sagt Ben und schiebt die helfende Hand zur Seite. Breitbeinig stellt sich der Sechsjährige vor den Feuerlöscher, umschließt mit beiden Händen den Griff und packt kräftig zu. Jeder Muskel seines Körpers scheint sich anzuspannen, als er den roten Metallzylinder in die Höhe wuchtet. Doch Ben schafft das schon. Angestrengt und stolz zugleich schleift er den Feuerlöscher die zwei Meter hinaus aus der Garage. Dorthin, wo das Feuer brennt. Er bringt ihn in Stellung, greift den Schlauch, richtet ihn auf die Flammen. Ungeduldig wartet er auf den Löschbefehl.
Endlich darf er das. Die vergangenen Monate waren hart für Ben, erzählt sein Vater Martin Göttler: „Seit etwa einem halben Jahr fragt er mich, wann er denn endlich zur Feuerwehr gehen darf.“ Monatelang musste Göttler, selbst aktiver Feuerwehrmann, seinen Sohn vertrösten: Erst wenn er sechs Jahre alt ist, lautete die Antwort. Ben musste sich gedulden. Die Wartezeit überbrückte er unter anderem mit Fortbildungen vor dem heimischen Fernseher: „Feuerwehrmann Sam“ zählt zu Bens Lieblingssendungen. Dann kam der Geburtstag – und der erste Besuch bei der Freiwilligen Feuerwehr in Rain am Lech im Landkreis Donau-Ries.
7580 freiwillige Feuerwehren mit rund 315 000 aktiven Mitgliedern gibt es aktuell in Bayern – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Etwa jeder dritte deutsche Feuerwehrler kommt aus dem Freistaat. Brennt es hier besonders oft? Haben die Menschen hier besonders viel Spaß am Feuerlöschen, Kellerauspumpen, Straßenabsperren? Oder sind sie einfach besonders hilfsbereit?
Selbst im Landesverband hat man darauf keine klare Antwort. Die Feuerwehr habe hierzulande eben eine lange Tradition, sei im Gegensatz zu anderen Ländern in Vereinen organisiert, sagt Sprecher Jürgen Weiß. Zudem sei hier das Ehrenamt immer noch besonders stark verwurzelt. Einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Einsätze und der Zahl der Mitglieder sehe er jedenfalls nicht.
Aber woher rührt sie dann, diese Leidenschaft der Bayern für ihre Feuerwehr?
Auf der Suche nach einer Antwort landet man schnell bei Hubert Speiser in Sulzberg im Oberallgäu. Mit seiner akkurat gebügelten Uniform sitzt der 49-Jährige in einem feuerroten Mercedes-Bus und legt den Arm auf die stoffbezogene Rückenlehne. Sein Blick schweift durch die in 60er-Jahre-Beige gehaltene Kabine: „Da kommen automatisch Gedanken an meinen Vater und Großvater auf.“ Beide waren wie er bei der Feuerwehr. Als kleiner Bub wartete Speiser jedes Mal ungeduldig, bis sein Vater von seinen Einsätzen zurückkam und erzählte, was passiert war. „Ich hab’ das Feuerwehr-Gen geerbt“, sagt er. Mittlerweile sind auch seine drei Söhne aktiv dabei.
Auf der Holzbank hinter dem Oberallgäuer Kreisbrandinspektor liegen aufgereiht rot lackierte Stahlhelme, Flecken abgeplatzter Farbe erzählen von längst vergangenen Einsätzen. Genau das ist es, warum Speisers Herzblut so an alten Feuerwehrautos hängt: „Sie dokumentieren, unter welchen Umständen unsere Vorgänger ehrenamtlich gerettet haben.“ Diese Erinnerungen zu erhalten, empfindet er als Wertschätzung.
Der Bus, in dem Speiser sitzt, steht im Feuerwehrmuseum Sulzberg. Im Obergeschoss parken unter offenen Dachbalken weitere „Oldtimer“ – teils über 200 Jahre alt. Einst von Pferden gezogene Holzwagen, deren Wasserspritzen früher mit reiner Muskelkraft betrieben wurden. An Stangen hängen historische Uniformen. Wenn heute Väter neben ihren Söhnen vor den Ausstellungsstücken stehen, strahlen regelmäßig die Augen, sagt Speiser: „Egal ob Lego, Bilderbücher oder Oldtimer – Feuerwehr fasziniert.“
Das wird sich auch an diesem Wochenende wieder zeigen, wenn zum ersten Mal der „Schwäbische Feuerwehrtag“ stattfindet. Quer durch die Region nehmen hunderte Feuerwehren daran teil und präsentieren sich auf unterschiedliche Arten. Die einen führen Besucher durchs Feuerwehrhaus, andere lassen sich bei Übungen über die Schulter blicken oder laden die Interessierten zum Mitmachen ein. Hubert Speiser hat einen Corso mit 20 historischen Feuerwehrautos durch das Allgäu organisiert.
All die Aktionen sollen deutlich machen, was Feuerwehren landauf, landab leisten, wie wichtig sie für die Gesellschaft sind und wie viel Arbeit dahintersteckt. Denn das ist offenbar vielen Menschen nicht bewusst, sagt Jürgen Weiß, der Sprecher des Landesverbandes. Immer öfter werde wegen Kleinigkeiten – beispielsweise einer leckenden Waschmaschine oder einem grundlos piepsenden Rauchmelder – die 112 gewählt, in der Erwartung, die Feuerwehr werde schon helfen. „Das können wir nicht leisten und schon gar nicht die ehrenamtlichen Kameraden, die dafür von der Arbeit weggeholt werden müssen“, sagt Weiß.
Auch die Bürokratie hinter einem Blaulichteinsatz werde von vielen unterschätzt: „Es kann doch nicht sein, dass ein Kommandant nach einem mehrstündigen Löscheinsatz auch noch eine halbe Stunde lang irgendwelche Formulare ausfüllen muss.“ Hier erhofft sich der Verband mehr Unterstützung von den für die freiwilligen Feuerwehren zuständigen Kommunen.
Gleichzeitig will man mit Kampagnen wie dem „Schwäbischen Feuerwehrtag“ oder der ebenfalls an diesem Wochenende startenden „Bayerischen Feuerwehraktionswoche“ um Nachwuchs werben. Denn den zu finden, wird bei aller Faszination auch in Bayern immer schwerer. Das belegen die Zahlen des Landesfeuerwehrverbandes (siehe Grafik) . Auch wenn dessen Sprecher die Entwicklung für „noch nicht dramatisch“ hält, versuche man seit geraumer Zeit, dem Trend sinkender Mitgliederzahlen entgegenzuwirken. Mit Aktionstagen, Werbekampagnen oder mit der Einführung sogenannter Kinderfeuerwehren – so wie in Rain am Lech.
„Los!“, ruft Andrea Baur – und Ben zieht den Hebel des Feuerlöschers bis zum Anschlag. Nisa, 9, Sebastian, 11, und Björn, 10, tun es ihm gleich. Das Wasser spritzt, es zischt, es dampft und innerhalb weniger Sekunden ist das Feuer auf dem Hof gelöscht. Freudestrahlend legen die Kinder die Schläuche zur Seite. Es ist der Höhepunkt der heutigen Übung der Rainer Kinderfeuerwehr. Vor zwei Jahren wurde diese gegründet. Eine Gesetzesänderung im Juli 2017 machte das möglich. Zuvor hatte das Mindestalter für den Eintritt in die bayerische Feuerwehr bei zwölf Jahren gelegen, Kindergruppen waren nicht vorgesehen. Jetzt können die Kleinen schon mit sechs Jahren eintreten – so wie Ben.
„Wir versuchen, die Kinder möglichst früh an die Feuerwehr zu binden, damit sie später auch dabei- bleiben“, erklärt Andrea Baur. Sie leitet gemeinsam mit drei Kollegen die Rainer Kinderfeuerwehr, die mit 20 angemeldeten Kindern zu den größten in Schwaben zählt. Einmal im Monat veranstaltet Baur für die Sechs- bis Elfjährigen eine Übung. Einmal geht es dabei um die Feuerwehr – heute sind es Feuerlöscher –, ein anderes Mal werden Kürbisse für Halloween geschnitzt, Plätzchen für Weihnachten gebacken oder ein Faschingsball gefeiert. Für die Kinder sei Abwechslung wichtig, sagt Baur, es müsse sich nicht immer um die Feuerwehr drehen. Auch wenn die natürlich immer noch die größte Faszination auf die Kleinen ausübe: „Große rote Autos mit Blaulicht obendrauf – das ist und bleibt der Renner.“
In Weiler im südlichen Landkreis Günzburg können die Kinder davon nur träumen. Zwar gibt es auch in dem 116-Einwohner-Dorf eine Feuerwehr, doch statt eines großen Löschfahrzeugs steht in der Garage lediglich ein einachsiger Anhänger aus den 70er Jahren, dessen roter Lack an einigen Stellen schon abblättert. „Das ist unser einziges Fahrzeug“, sagt Kommandant Daniel Hiller. Im Inneren des Anhängers befinden sich eine sogenannte Tragkraftspritze und mehr als 300 Meter Schlauch. „Bei Einsätzen kommt einer unserer Aktiven mit dem Traktor, hängt den Wagen an und dann geht’s los“, erklärt Hiller – genau in dem Moment, als in der Ferne eine Sirene zu heulen beginnt. Der 31-Jährige horcht kurz auf, bleibt aber gelassen: „Das ist nicht für uns“, sagt er und behält recht. Um den Brand im Nachbarort sollen sich andere kümmern – Weiler bleibt bei der Alarmierung außen vor. Mal wieder.
In den vergangenen fünf Jahren sei die Freiwillige Feuerwehr Weiler nur zu zwei Einsätzen gerufen worden. Einer war ein Verkehrsunfall, der andere ein Brand in – ausgerechnet – Hillers Elternhaus. „Andere Wehren sind einfach besser ausgestattet. Und wir würden uns mit dem Traktor-Anhänger auch schwertun, innerhalb von zehn Minuten zu einem Brand außerhalb von Weiler zu kommen“, räumt er ein. Vor wenigen Jahren habe man schon mal mit dem Kauf eines gebrauchten Feuerwehrautos geliebäugelt. Doch der Gemeinde Waltenhausen, zu der Weiler gehört, seien die laufenden Unterhaltskosten zu hoch gewesen, erzählt Hiller etwas enttäuscht. Für die Motivation wäre es manchmal schön, wenn es etwas mehr zu tun gäbe, findet der Kommandant. Über zu wenig Zuspruch oder Nachwuchssorgen könne er sich dennoch nicht beklagen. 24 aktive Mitglieder zählt die Feuerwehr in Weiler aktuell, dazu noch elf Jugendliche. „Hier gehört die Feuerwehr zum Dorfleben dazu. Außer dem Schützenverein gibt es auch nichts anderes“, sagt Hiller. Wer in Weiler lebt, kommt an der Feuerwehr kaum vorbei.
An Freizeitangeboten mangelt es in Augsburg dagegen nicht – doch auch hier ist eine bemerkenswerte Begeisterung für die Feuerwehr zu spüren. Das zeigt sich aktuell im Stadtteil Lechhausen. Während anderswo im Land Feuerwehren wegen Personalmangels aufgelöst werden müssen, wird hier gerade eine neue aufgebaut. Und der Andrang an Freiwilligen ist enorm. Innerhalb von zwei Jahren schoss die Zahl der Vereinsmitglieder von 34 auf 167 in die Höhe. Alle wollen sie mithelfen, die Feuerwehr wiederzubeleben, die 1945 aufgelöst wurde und zuletzt auch wegen der unweit stationierten Berufsfeuerwehr unnötig war. Doch vor einigen Wochen erkannte die Stadt den Bedarf einer zusätzlichen Freiwilligenwehr an – es ist die siebte im Augsburger Stadtgebiet. Ab dem kommenden Frühjahr beginnt also in Lechhausen die Ausbildung von 24 Feuerwehrleuten, die ab 2022 zu Einsätzen ausrücken sollen.
Janina Hägele kann das kaum erwarten. Die 31-Jährige ist die Vereinsvorsitzende und gleichzeitig eine der künftig 24 Aktiven bei der Lechhauser Wehr. Früher konnte sie sich nur wenig für die Feuerwehr begeistern, doch eines Tages sei sie über ihren Mann und ihre Familie „so reingerutscht“. Mittlerweile habe sie regelrecht Feuer gefangen. Warum? Hägele muss nicht lange überlegen: „Der Zusammenhalt in der Truppe, das gegenseitige Vertrauen, der Gedanke daran, Menschen zu helfen – das packt einen.“ Dazu habe eines ihr ganz besonderes Interesse geweckt: der Atemschutz. Für Außenstehende klinge das komisch, räumt sie ein. Doch für sie sei die Vorstellung, in einen verrauchten Raum zu gehen und dort einen Menschen zu retten, ein Antrieb für die anstehende anstrengende Ausbildung.
Und ein Teil der Faszination Feuerwehr. Einer von ganz vielen.
Pressebericht aus der Donauwörther-Zeitung vom 21.09.2019. Bericht von Von Michael Böhm und Bastian Hörmann.